Das beste Schnäppchen des Jahres 2021 erstand ich Ende Oktober. Ich wollte Tulpenzwiebeln kaufen und war schon ziemlich spät dran, der Tübinger Florist meines Vertrauens, der wunderbare FLORIAN, hatte seine Bestände bereits verkauft. Gut für ihn, Pech für mich. Ich klickte mich also durchs Internet und landete bei GÄRTNER PÖTSCHKE – sozusagen auf dem Wühltisch. Seine Restbestände an Tulpenzwiebeln verkaufte er in einer Art Super Sale – für fünfzehn Euro erstand ich etwa hundert Zwiebeln, die ich an einem sonnigen Novembervormittag am Rand meines Gemüsebeets in die Erde versenkte.
Tulpenglück
Ich liebe Tulpen, aber im Blumengarten mag ich das Laub nicht, das noch wochenlang steht, nachdem die Tulpen bereits alle verblüht sind. Deshalb beschränke ich mich dort auf Wild- und Weinbergtulpen, die kleiner und filigraner snd und deren lanzettförmige Blätter nach der Tulpenblüte schnell von den dann austreibenden Stauden überwachsen werden. Außerdem hole ich mir Tulpen gerne ins Zimmer. Sie sind für mich echte Frühlingsboten, die jeden noch kalten und grauen Märztag mit Optimismus und Farbe fluten können. Dafür mag ich aber keinen Blumengarten plündern.
Die hundert Tulpenzwiebeln bescherten mir wochenlang die schönsten Sträuße. Es waren echte Preziosen darunter, dunkelviolette Tulpen mit schlanker Taille und spitz zulaufenden Blütenblättern. Rosafarbene, gefüllte Exemplare, die fast wie Päonien aussahen. Gelbrote Papageientulpen und rotweiß gestreifte Tulpen, die der berühmten “Semper Augustus” ähnelten, der teuersten Tulpe der Welt. Für eine einzige Zwiebel dieser Tulpensorte bezahlte man im Jahr 1637 die unvorstellbare Summe von 13.000 Gulden, so viel wie für ein großes Haus an einer der schicksten Grachten von Amsterdam. Bei mir wuchs diese Pracht einfach so im Gemüsebeet. Für den Preis einer Pizza. Ich war im echten Tulpenglück.
Tulpenpoesie
Schöner als Salomonis’ Seide seien die Tulipan singt Paul Gerhardt in GEH AUS, MEIN HERZ. Auch wenn die schlichten roten und gelben DARWIN-TULPEN heute in vielen Gärten allenfalls als knallbunte Farbtupfer zur Osterzeit geschätzt werden und man sie in dicken Bünden für kleines Geld bei Aldi an der Kasse kaufen kann, gibt es noch ein paar Tulpensüchtige, für die diese anmutigen Zwiebelgewächse mehr sind als nur eine Gartentapete.
Für diesen Text habe ich eine Menge gelesen und recherchiert. Das allerbeste Buch, das ich über Tulpen gefunden habe, hat die Engländerin ANNA PAVORD geschrieben. Die Gartenbuchautorin züchtet in ihrem Garten in Dorset seit vierzig Jahren Tulpen und weiß wirklich alles über sie: THE TULIP: THE STORY OF A FLOWER THAT HAS MADE MEN MAD wurde ein echter Bestseller. Noch schöner als in dieser Kulturgeschichte der Tulpe kann man nicht über Blumen schreiben. Das 1999 erschienene Buch gibt es in deutscher Sprache zur Zeit nur noch antiquarisch.
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Kaum eine andere Blume ist vielseitiger und variantenreicher und birgt mehr Überraschungen als die Tulpe. Auch wenn sie längst nicht mehr in botanischen Wunderkammern als besonders erlesene Schätze zur Schau gestellt werden, haben sie nichts von ihrer Poesie verloren. Die im Hohelied besungene ROSE VON SHARON war vermutlich eine Tulpe. Seit dem 9. Jahrhudert werden Tulpen in der persischen Literatur besungen, Sultane schmückten ihren Turban mit diesen Liliengewächsen, weswegen man sie in Europa Tulpen nennt, abgeleitet vom türkischen oder persischen “tulband”, Turban – was allerdings auch “Geliebter” heißt. Auf persisch oder türkisch heißen Tulpen “lalé”, Das wird mit denselben Schriftzeichen geschrieben wie “Allah” – Tulpen sind Gottesblumen.
Sieben Jahre braucht es, bis sich aus einem Tulpensamen eine Blüten tragende Zwiebel entwickelt. Wer Tulpen züchten will, braucht unendlich viel Geduld und muss sich auf manche Überraschung gefasst machen. Nur selten lässt sich eine Tulpe dazu herab, genauso auszusehen, wie es nach dem Plan des Züchters sein müsste. Tulpen machen ein bisschen, was sie wollen. Diese kapriziöse Vielseitigkeit fasziniert die Menschen seit vielen hundert Jahren und macht Tulpen zu besonders charaktervollen Blumen. Vielleicht ist das der Grund, warum Tulpen die ersten Blumen waren, denen Botaniker persönliche und klangvolle Namen gaben, anstatt sich auf eine lateinische Nomenklatur zu beschränken. “Black Hero” oder “Columbine” oder “Carnaval de Nice” klingt viel charaktervoller als ein lateinischer Fachbegriff.
Tulpen im Garten
Im Garten haben Tulpen fast einen Soloauftritt, sie teilen sich ihren Auftritt höchstens mit Narzissen und Osterglocken. Deshalb müssen sie sich an kein Farbkonzept halten und genießen größtmögliche Freiheiten. Nur allein sind sie nicht gern. Wer Tulpenzwiebeln setzt, sollte klotzen statt kleckern.
Mir gefällt es gut, wenn die einzelnen Tulpensorten in Gruppen beieinander bleiben. In den Tulpengärten des 17. und 18. Jahrhunderts wurden die Beete nach einem festen Bepflanzungsschema angelegt. Wenn dann hohe und niedrige Sorten abwechselten und die Farben sorgfältig auseinander abgestimmt waren, konnten solche Tulpenbeete aussehen wie lange, fließende Bahnen von Seidenbrokat. Aber selbst Tulpenfans wie ich möchten vermutlich nicht ihren Garten für nur wenige Wochen im Jahr in eine spätbarocke Blütenpracht verwandeln. Sie freuen sich, wenn von März bis November immer wieder etwas im Garten blüht. In solchen Ganzjahresgärten sehen auch kunterbunte Tulpenbeete schön aus.
Ich liebe Wild- und Weinbergtulpen. Sie eignen sich hervorragend zum Verwildern und harmonieren wunderschön mit allen möglichen anderen Frühblühern im Beet. Gelbe Weinbergtulpen und violette Schachbrettblumen sind zum Beispiel eine hinreißende Kombination. Im Gegensatz zu den robusten, monochromen Darwin-Tulpen haben Wildtulpen einen zerbrechlichen Charme, von dem ich gar nicht genug bekommen kann. Scheint die Sonne, wölben sich die Blätter nach außen und bilden farbige Sterne, die sich auf den schlanken Stängeln beim kleinsten Windhauch anmutig bewegen. Es scheint, als trügen sie noch eine Erinnerung an die Hochgebirgslandschaften in sich, aus denen sie stammen.
Tulpen aus Afghanistan
Die eigentliche Heimat der Tulpe sind die Berge und Steppen im Iran, Afghanistan und Kasachstan. Nomaden nahmen sie mit in die Türkei, wo die elegante Blume zum adligen Accessoire avancierte. Von dort gelangte sie Mitte des 16. Jahrhunderts nach Europa. 1559 entdeckte der Zürcher Arzt und Botaniker Conrad Gessner im Garten des Augsburger Ratsherren Johann Heinrich Herwart eine Tulpe und berichtete darüber. Bereits hundert Jahre später gab es von dieser so exotischen Blume in Europa über 200 Sorten.
Das ist der Beginn einer unglaublichen Karriere, die über zweihundert Jahre andauern wird und auch im übertragenen Sinne seltsame Blüten hervorgebracht hat. Während dieser Zeit bleibt die Tulpe eine seltene und elegante Blume. Ende des 18. Jahrhunderts wird sie von anderen Gartenmoden verdrängt, vor allem in den romantischen Wildgärten hat man keinen Platz mehr für sie.
Im 20. Jahrhundert kehrt sie wieder in die europäischen Gärten zurück – jetzt aber nicht mehr als ein kapriziöses, exklusives Geschöpf, sondern als fröhliche, bunte Frühlingsdeko. Aus einer seltenen Preziose ist eine Massenware geworden.
Der französische Botaniker CHARLES DE L’ÉCLUSE war so begeistert von diesen neuen Zwiebelgewächsen, dass er sie großzügig an Freunde und Bekannte verschickte – unter anderem an Johann Heinrich Herwart nach Augsburg. Vermutlich hat er mit seiner Großzügigkeit dazu beigetragen, das Aussehen nordeuropäischer Gärten für immer zu verändern.
Tulpen in Europa
Bis zur Französischen Revolution waren nicht die Niederlande, sondern Frankreich das Zentrum des Tulpenhandels. Streng angelegte Tulpenbeete schmückten die fürstlichen Parks in Paris, die Tulpen bedienten am französischen Hof die Sehnsucht nach orientalischem Luxus ebenso gut wie die Märchen aus 1001 Nacht, die ANTOINE GALLAND ins Französische übertragen hatte.
Den Export aus Frankreich besorgten unter anderen protestantische Hugenotten. Sie nahmen Tulpenzwiebeln mit, wenn sie das Land verließen. Die waren wertvoll und leicht zu transportieren und galten deshalb als ideale Fluchtwährung. Auf diese Weise gelangten Tulpen nach England und lösten dort ebenfalls einen regelrechten Boom aus. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden auf der Insel Hunderte von Tulpenzüchtervereinen, denen das neu erwachte naturwissenschaftliche Interesse der Menschen zu Gute kam. Man wollte nicht nur immer neue, immer schönere und immer außergewöhnlichere Sorten kreieren, sondern auch dem Geheimnis der spontanen Farbveränderungen auf die Spur kommen. In ganz England veranstaltete man große Tulpenschauen. Dabei waren es oft ganz einfache Leute, die in ihren kleinen Gärten mit den kostbaren Zwiebeln experimentierten und Tulpenschauen fanden vor allem in Wirtshäusern statt. Die Tulpe erlebte eine erstaunliche Demokratisierung.
Tulpen aus Amsterdam
Erst Ende des 19. Jahrhunderts war es möglich, gezielt neue Sorten zu züchten. Die Niederlande avancierten zum größten Tulpenproduzenten der Welt. Aus den kleinen Pflanzschulen in Haarlem wurden riesige Gärtnereien, die Tulpen in die ganze Welt exportierten. Im 18. Jahrhundert wurden Tulpen sogar in die Türkei verkauft, das Land, aus dem sie zwei Jahrhuderte zuvor nach Europa gekommmen waren. Allein zwischen 1900 und 1910 importierten die USA für über eine Million Dollar die legendären Tulpen aus Amsterdam. Heute besteht tatsächlich die Hälfte des 34.000 qkm großen Landes aus Tulpenfeldern, die ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen aus aller Welt sind.
Übrigens auch für mich. Die erste Reise meines Lebens, die mehr mit Bildung als mit Sommerfrische zu tun hatte, unternahm meine Famlie tatsächlich nach Holland. Wir schauten uns in Amsterdam die Nachtwache von Rembrandt an, fuhren am Europäischen Gerichtshof in Den Haag vorbei und verbrachten einen ganzen Tag im KEUKENHOF. Das Landgut, das im 15. Jahrhundert Jakobäa von Bayern als Küchengarten gedient hatte, wurde 1949 in einen öffentlichen Park umgewandelt, in dem die holländischen Blumenzwiebelzüchter ihre neuesten Kreationen vorstellen. Unglaubliche viereinhalb Millionen Tulpenzwiebeln werden hier alljährlich in die Erde versenkt. Ich erinnere mich an endlose Wege – insgesamt führen heute 15 Kilometer Spazierwege durch die 32 Hektar große Anlage -, neben denen unzählige Tulpen in breiten Bändern und Rabatten blühten. Sie bildeten Muster und Ornamente, sie waren bunter als alles, was ich je zuvor an Blumen gesehen hatte und sie waren von einer verschwenderischen Pracht und Üppigkeit, die mich als etwa Zehnjährige völlig verzauberte. Der Zauber hält bis heute an.
Die perfekte Tulpe
Die größte Sammlung unterschiedlicher Tulpen hatte der Gartenspezialist JOHN REA aus Staffordshire. Sein Ehrgeiz galt der perfekten Tulpe, für die er einen strengen Kriterienkatalog festlegte. Dabei legte er besonderen Wert auf das Innere der Blüte, den Blick von oben in die Tulpe hinein. Damit eine Tulpe Gnade vor seinem kritschen Gärtnerauge fand, musste der Grundfleck eine klar abgegrenzte Zeichnung aufweisen, die Staubgefäße sollten vollkommen symmetrisch angeordnet sein, das Blütenblatt über eine besonders seidige Textur verfügen und innen glänzender sein als außen.
Die Königin im Tulpenbeet war unangefochten eine gestreifte Tulpe. Die spontanen, durch keinerlei Züchtung beeinflussbaren Farbveränderungen verliehen ihr eine außergewöhnliche Aura und machten sie so besonders wertvoll. Erst im 20. Jahrundert fand man heraus, dass die Streifen von einem Virus verursacht werden. Die Grundfarbe jeder Tulpe ist gelb oder weiß und das Virus verhindert, dass die Oberflächenfarbe die Blüte vollständig bedeckt. Eine gestreifte Tulpe leidet sozusagen an einer Pigmentstörung und es ist sicherlich der einzige Fall in der gesamten Geschichte der Botanik, in dem eine Pflanzenkrankheit den Wert einer Pflanze erhöht. Aber je weniger man über diese Phänomene wusste, desto wunderbarer erschienen sie und deshalb war eine gestreifte Tulpe für eine lange Zeit der Joker im Blumenbeet.
Erst im 19. Jahrhundert verdrängte die einfarbige rote Darwin-Tulpe die gestreiften, gefiederten, geflammten Blumen vom Markt und setzte neue Maßstäbe für die perfekte Tulpe. Jetzt erfreute man sich an einer Blüte, deren Blätter einen perfekten, makellos runden Becher bildeten, in dem die Farben von Grundfleck, Staubgefäßen, Stempel und Blütenblättern einen schönen Kontrast bildeten.
Mittlerweile gibt es über 5500 verschiedene Tulpensorten, die in vier Jahrhunderten aus Züchtungen auf die Wildtulpe entstanden sind.
Tulpenfieber
Es waren diese wunderbaren gestreiften Tulpen, wegen derer in Amsterdam 1637 das Tulpenfieber ausbrach. Es erfüllt mich tatsächlich mit einer gewissen Freude und Genugtuung, dass der erste veritable Börsenkrach der Wirtschaftsgeschichte sich ausgerechnet etwas so Flüchtigem, Schönem und Zerbrechlichem wie einer Blume verdankt.
Wer den Film TULPENFIEBER von Justin Chadwick anschaut, der 2017 in die Kinos gekommen ist, sieht in erster Linie eine romantische Liebesgeschichte, die vielleicht einen verregneten Sonntagnachmittag aufheitert. Man würde aber keinen weiteren Gedanken daran veschwenden, wenn Christoph Waltz, Alicia Vikander und Judi Dench nicht so erstklassige SchauspielerInnen wären, die selbst aus der größten Schmonzette noch einen sehenswerten Film machen. Aber was diesen Film wirklich besonders macht, ist die eindrucksvolle Schilderung dieser unfassbaren Hysterie, die die Mernschen in Amsterdam während dieses verrückten Jahres ergriffen hatte. Man beginnt zu verstehen, warum diese schönen Liliengewächse die Menschen so sehr faszinierten, dass sie bereit waren, sich für ein paar Tulpenzwiebeln komplett zu ruinieren.
Amsterdam war, wie alle europäischen Großstädte der frühen Neuzeit, dicht bebaut. Den engen Raum teilten sich Menschen und Tiere. In vielen Straßen liefen Schweine herum und fraßen die Gemüseabfälle. An jeder Straßenecke lag ein Misthaufen, auf dem ein paar Hühner scharrten. Dazu herrschte ein unvorstellbarer Krach. Eisenbeschlagene Wagenräder holperten über das Pflaster, Schmiede hämmerten, Menschen brüllten. Durch die schmalen Fenster der hohen Häuser drang kaum Tageslicht in die Räume. Es war eng, es stank, es war dunkel, es war laut und es war unvorstellbar schmutzig.
Licht und Farbe
In dem Film bringt der junge Maler Jan van Loos der schönen Kaufmannsfrau Sophia eine Tulpe mit. Die einzelne farbige Blüte leuchtet in dem ganzen Gewühl, Geschrei und Gestank in den Gassen der umtriebigen Stadt wie Aladins Wunderlampe. Sophia stellt die einzelne Blume in einer Vase auf einen kleinen Tisch in dem mit dunklen Möbeln und schweren Vorhängen ausgestatteten reichen Kaufmannshaus. In der ganzen dunklen Behäbigkeit dieses Kaufmannshaushaltes verbreitet de Tulpe einen geheinisvollen Schimmer. Sie ist so frisch und rein und vollkommen, dass sie den Menschen im 17. Jahrhundert tatsächlich wie ein Gruß aus den Gärten des Paradieses vorgekommen sein muss.
Gleichzeitig kamen Tulpen auch allen entgegen, die sich mittem im pulsierenden Leben der aufstrebenden Großstädte Gedanken über die Vergänglichkeit allen Seins machen wollten. Denn so knackig-frisch sie zunächst auch aussehen mögen – ihren wahren Zauber verbreiten Tulpen erst nach ein paar Tagen: Sie sind die einzigen Blumen, die verblüht fast noch schöner aussehen als frisch. Wenn sie ihre hübschen Köpfe über den Vasenrand neigen, die ersten Blütenblätter herunterfallen und auf dem Tisch liegen wie federleichte, glänzend bunte Boote, sind sie besonders anrührend.
Börsenkrach wegen einer Blume
Ende des 16. Jahrhunderts war Holland das Zentrum der Tulpenzucht. 1602 wurde die Ostindische Handelskompanie gegründet und Amsterdam avancierte zur Handelsmetropole. Auch Tulpen wurden zu einer begehrten Handelsware. Man kaufte die Tulpenzwiebeln, wenn sie noch in der Erde steckten und erhielt darüber ein Zertifikat. Diese Zertifikate wurden auf Auktionen hin- und hergehandelt, die Preise stiegen ins Unermessliche: Während 1623 eine Zwiebel der berühmten rot-weiß-gestreiften SEMPER AUGUSTUS noch für 1000 Gulden zu haben war, musste man 1637 bereits 13.000 Gulden dafür hinblättern. Ohne im Gegenzug dafür eine echte Zwiebel in der Hand zu halten. Diese hochvolatilen Tulpentermingeschäfte fanden ein abruptes Ende, als die Käufer, deren Zahl weit geringer als die der Verkäufer war, endlich eine der begehrten Zwiebeln in den Händen halten wollten. Die Verkäufer konnten die Verträge nicht einhalten, die Käufer zahlten nicht mehr und die erste Blase der Wirtschaftsgeschichte fiel in sich zusammen – nicht ohne eine ganze Reihe von waghalsigen Spekulanten komplett zu ruineren.
The Flower that Made Men Mad
Aber Tulpen brachten ihre Liebhaber auch ohne solche Spekulationsgeschäfte um Vermögen und Verstand. Der türkische Sultan Ahmed III. ließ sich aus Holland Tausende von Tulpenzwiebeln für sene Palastgärten schicken und besaß Tulpenwiesen im Sypilos-Gebirge, die Gegenstand allgemeiner Bewunderung waren. Er veranstaltete rauschende Tulpenfeste, die Unsummen verschlangen. Dichter und Miniaturmaler verewigten die Schönheit der Tulpen in ihren Werken. Seine Regierungszeit (1703-1730) ging als Tulpenzeit in die Geschichte des Osmanischen Reiches ein.
Ein türkischer Sultan kann sich einen solchen Spleen zumindest leisten. Der schottische Regierungsbeamte James Justice (1698-1763) konnte das nicht. Der begeisterte Gärtner importierte auf der Suche nach der perfekten Tulpe sogar Erde aus Holland und verschuldete sich und seine Nachkommenso sehr, dass er sein Anwesen in Crichton verkaufen musste.
Tulpenkunst
Dass wir heute wissen, wie die heiß begehrten Tulpen der frühen Neuzeit ausgesehen haben, verdanken wir dem Hype um die Tulpe selbst. Für Tulpenschauen und Auktionen wurden immer aufwändigere Kataloge angefertigt, die von angesehenen Malern illustriert wurden. Im Jahr 1616 hatte Jan Brueghel der Ältere auf seiner FRÜHLINGSALLEGORIE eine Gartenmauer gemalt, vor der Blumen wuchsen – darunter auch ein paar Tulpen, die damit die vermutlich erste Darstellung von Tulpen auf einem Kunstwerk waren. Wenige Jahre später begann man, Tulpen auf Fliesen zu malen und sich die teuren Blumen auf diese Weise ins Haus zu holen.
Aber diese zarten Anfänge waren noch gar nichts gegen die üppigen Blumenstillleben der niederländischen Malerei des 17.Jahrhunderts. Die reichen Bürger von Amsterdam konnten gar nicht genug bekommen von den monumentalen Blumenbildern, die so unfassbar farbig und sinnlich waren und gleichzeitig gut protestantisch an die Vergänglichkeit allen irdischen Daseins erinnerten. Die Maler gingen darauf ein und lieferten riesige Sträuße aus Päonien, Kaiserkronen, Ranunkeln, Anemonen – und natürlich Tulpen. Gestreift, geflammt, gefranst, gebrochen in allen Farben. Die konnten sich tatsächlich mehr Menschen leisten als eine echte Tulpenzwiebel.
Diese Zeiten sind längst vorbei. Aber mit jeder Tulpenzwiebel, die ich im Herbst in die Erde stecke, nehme ich Anteil an dieser Hoffung auf Luxus, Schönheit, Reichtum, Eleganz und Überfluss, die türkische Sultane, englische Schuster und holländische Kaufleute mit einer Tulpe verbanden. Und wenn ich im Frühling aus dem Küchenfenster schaue und die Tulpen am Rand des Gemüsebeets in allen Farben leuchten, kann ich Paul Gerhardt nur zustimmen: sie sind tatsächlich schöner als Salomonis’ Seide.