Paris à vélo

Fahrräder vor der Bibliothèque Nationale

Sous les ponts de Paris coule la Seine

Ich fahre mit dem Fahrrad am Ufer der Seine entlang. Im Schritttempo, denn mir kommen Tausende von Menschen entgegen. Zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Die ganze Stadt ist auf den Beinen an diesem schönen Nachmittag. Die Sonne scheint, aus den Biergärten und Caféterrassen am Ufer hört man Stimmengewirr, Gelächter und immer wieder Live-Musik. Alle sind entspannt, lächeln einander zu. Ich fahre und fahre, die Gesichter und Musikfetzen gleiten an mit vorüber wie in einem Film. Es ist Frühling. Ich bin in Paris.

Vor ein paar Jahren fuhren hier noch Autos. 2016 entschied der Pariser Stadtrat, die Seineufer für den Autoverkehr zu sperren, mittlerweile sind über sieben Kilometer komplett autofrei und es werden immer mehr. Die Menschen erobern sich die Stadt und den Fluss zurück.

Als Studentin habe ich auf dem Weg zur Sorbonne fast täglich die Seine überquert. Ich stand auf der Brücke, schaute auf die Île de la Cité und fand alles wunderschön. Dabei war mir immer klar, dass das Wasser unter mir lebensbedrohlich dreckig war. Wer in diese braune Brühe hineinfiel, so witzelten wir, würde nicht ertrinken, sondern sich auflösen wie in einem Säurebad. Jetzt ist der Fluss grün und glitzert in der Sonne.

Seine mit Brücke

Seit 1923 ist das Baden in der Seine verboten und noch 1992 wurden in der Pariser Vorstadt Suresnes 400 Tonnen tote Fische angeschwemmt. Aber bereits seit den späten 80er-Jahren wird eine Menge unternommen, um den Fluss wieder sauber zu bekommen und mittlerweile scheinen die Bemühungen Erfolg zu haben: 2008 zog ein Angler ausgerechnet in Suresnes einen sieben Kilogramm schweren Lachs aus dem Fluss. Lachse hatte man seit 1920 nicht mehr in der Seine gesehen. Auch wenn dieser Fisch noch voller Schwermetalle und somit für den Verzehr ungeeignet war, war das ein gutes Zeichen. Seitdem hat sich die Wasserqualität weiter verbessert. Mittlerweile verweist man stolz auf über 30 verschiedene Fischarten, die sich in der Seine wohlfühlen und die Belastung mit Schwermetallen und anderen Krebs erregenden Stoffen ist deutlich zurück gegangen. Vielleicht klappt es ja mit dem Vorhaben, einige der Schwimmwettkämpfe der Olympischen Spiele 2024 in die Seine zu verlegen.

Piscine Josephine Baker in Paris
Schwimmen am Fluss – Piscine Josephine Baker

Bis es soweit ist, dass man in der Seine schwimmen kann, ist es immerhin möglich, auf der Seine zu schwimmen: Das PISCINE JOSEPHINE BAKER im 13. Arrondissement ist ein direkt auf das Wasser gebautes Schwimmbad mit vier 25-Meter-Bahnen und riesigen Fensterflächen. Im Sommer wird das Dach geöffnet. Mehr Schwimmen am Fluss ist (noch) nicht möglich. Wenn ich das nächste Mal in Paris bin, muss ich das unbedingt ausprobieren.

 

Blick auf den Wald in der Bibliothèque Nationale
Ein Wald in der Bibliothek

Im Osten von Paris hat das Seine-Ufer Weltstadtflair. In den Glasfassaden der hypermodernen Gebäude spiegeln sich der Himmel und der Fluss. Mit dem Fahrrad kommt man schnell voran und sieht eine Menge.  Mein unangefochtenes Highlight ist die BIBLIOTHÈQUE NATIONALE. Die vier 79 Meter hohen Türme erinnern an aufgeschlagene Bücher. Dazwischen liegt ein Wald. Wer über die Holzplanken spaziert, die wie ein Schiffsdeck um die Büchertürme angelegt sind, schaut in dessen Wipfel. 150 Kiefern wurden 1995 in diesen ungewöhnlichen Innenhof gepflanzt, der der Öffentlichkeit nur an einem Tag im Jahr zugänglich gemacht wird. Es ist ein großartiger, trotz aller Modernität und Coolness geheimnisvoller Ort. 30 Millionen Bücher und Dokumente verwahrt diese Universalbibliothek, die einer der größten der Erde ist. Eine Kathedrale für das geschriebene Wort.

Die schönste Stadt der Welt

Für mich ist Paris die schönste Stadt der Welt. Nach dem Abitur habe ich dort ein Jahr an der Sorbonne studiert. Ich war zwanzig Jahre alt, es war Frühling und ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig verliebt. Nach diesem Auslandsjahr bin ich noch zwei Jahre zwischen Tübingen und Paris gependelt, habe alle Semesterferien dort verbracht, in einer Verlagsbuchhandlung gearbeitet und mir mit meinem Liebsten eine acht Quadratmeter große Chambre de bonne geteilt. Wir hatten kein heißes Wasser und nur einen elektrischen Heizlüfter, aber das Zimmer war in der Rue de Paradis und außerdem gehörte uns sowieso die ganze Stadt.

Nach fast  drei gemeinsamen Jahren ging es dieser ersten großen Liebe so wie vielen ersten großen Lieben – sie ging zu Ende und ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen.

Ich bin seitdem immer wieder nach Paris gefahren und jedes Mal, wenn ich aus der Gare de l’Est heraustrete, ist es ein bisschen wie Heimkommen. Immer noch, auch nach über dreißig Jahren. Die Buchhandlung gibt es übrigens immer noch und auch das Café an der Place de la Sorbonne, in dem die erste große Liebe meines Lebens mich angesprochen hatte, weil ich ein deutsches Buch las und in seinem Horoskop stand, er würde sich in eine Ausländerin verlieben.

Fahrrad gefahren bin ich in dieser Zeit nie. Das machten nur Verrückte.

Paris à vélo

Die Idee, Paris mit dem Fahrrad zu erkunden, hatte ein Kollege, den ich vor vielen Jahren als Co-Reiseleitung auf ein paar spektakulär schönen Fahrradreisen begleitet habe. Wir sind von Avignon nach Orange durch die Provence gefahren, von Luxemburg nach Brüssel und von dort nach London. Die Leute, mit denen wir unterwegs waren, hatten Lust auf eine Art Veteranentreffen, wollten aber keine allzu weiten Strecken radeln. Also ging es nach Paris, um auszuprobieren, ob an den Berichten, wie gut es sich in Paris radeln ließe, etwas dran sei.

Wir leihen uns Fahrräder bei PARIS À VÉLO, einem kleinen Fahrradverleih in der Nähe der Place de la Bastille aus. Die Stadträder, die man uns gibt, sind robust, funktionell und unproblematisch, allzu große Ansprüche sollte man aber nicht stellen. Die Kaution muss mit der Kreditkarte gezahlt werden, ein in Frankreich gängiges Procedere: auf der Kreditkarte wird der Betrag geblockt und wieder zurückgebucht, wenn man das Fahrrad abgibt und alles in Ordnung ist. Normalerweise funktioniert das problemlos, aber bei zwei Teilnehmerinnen akzeptiert das Gerät die Karte nicht. Wir finden eine Lösung, aber es empfiehlt sich, sämtliche Pins und Passwörter dabei zu haben, um für den Fall gerüstet zu sein, dass die Daten alle per Hand eingegeben werden müssen. Der Patron ist allerdings sehr geduldig und freundlich und erzählt, er hätte seinen Militärdienst in Deutschland geleistet. In Stetten am kalten Markt. So etwas verbindet.

Unser Fahrradabenteuer gestaltet sich zunächst ein wenig mühsam. Wir verlieren uns ständig, bei einem Fahrrad springt dauernd die Kette ab, bei dem anderen rutscht der Sattel. Wir verplempern zwei Stunden, bis wir endlich am Ausgangspunkt unserer ersten Tour sind.

Eiffelturm

Aber dann ist es toll. Die so weitläufigen und großen Plätze und breiten Boulevards, auf denen es im Sommer unerträglich heiß ist und an denen einem im Winter der Wind durch alle Knochen fährt machen mit dem Fahrrad richtig Spaß. Ich komme in Gegenden, die ich sonst immer gemieden habe. Wir fahren zum Eiffelturm und  zum Hôtel des Invalides. Auf dem Fahrrad wird diese ganze megalomane Stadtarchitektur einigermaßen überschaubar und ist groß und weit und eindrucksvoll.

Unsere Tagestouren haben wir mit Hilfe der Routing-App KOMOOT geplant, aber es gibt auch eine ganze Reihe Vorschläge im Internet und für Leute, die zum ersten Mal in Paris sind, ist es vermutlich kein Fehler, zumindest am ersten Tag eine geführte Fahrradtour zu buchen. Einfach drauflos zu fahren rate ich niemandem. Man riskiert, auf den Busspuren und den für Fahrräder reservierten schmalen Streifen neben den Autostraßen hängen zu bleiben und das Beste zu verpassen: die mittlerweile wirklich schönen Radwege und autofreien Fahrradstraßen. Und wer sich nicht die ganze Zeit auf den Verkehr und die Strecke konzentrieren muss, hat Augen, Hirn und Ohren frei für andere Dinge. Man kommt mit dem Fahrrad tatsächlich fast überall hin, Paris ist zwar eine große Stadt, nimmt im Verhältnis zu anderen Metropolen wie London oder Berlin aber nur wenig Raum ein.

Le Grand Tour

Am ersten Tag machen wir eine dreißig Kilometer lange Erkundungstour durch die Stadt. Wir starten an der Place de la Nation und radeln zum Bassin de la Villette. Diese größte künstliche Wasserfläche von Paris hatte Napoleon anlegen lassen, um die Trinkwasserversorgung der Stadt sicher zu stellen. Im 19. Jahrhundert wurden dort Waren gelöscht und es entstanden riesige Lagerhäuser. Heute flaniert man an den Ufern des Beckens, die ehemaligen Lastkähne sind zu Kultureinrichtungen und Cafés umfunktioniert worden und die Lagerhallen zu Kinos. Wir sitzen lange am Ufer und picknicken bevor wir uns nach Montmartre aufmachen.

Blick von Montmartre
Über den Dächern von Paris

Ich habe mir ein ganz normales Stadtrad mit sechs Gängen gemietet und bin drei Tage lang damit spielend zurecht gekommen. Die einzige Ausnahme war Montmartre. Da musste ich schieben. Der Hügel, von dem aus man einen fantastischen Blick über die Stadt hat, ist einfach zu steil. Aber nach einer Viertelstunde ist man oben und kann das grandiose Panorama genießen, das sich vor einem ausbreitet. Ich hätte auch das Fahrrad unten stehen lassen und mit der Seilbahn, dem Funiculaire, hochfahren können, das wäre lustiger gewesen. Aber ein E-Bike lohnt sich eigentlich nur, wenn man sehr lange Strecken zurück legen will. Für das, was wir in Paris gefahren sind, wäre es mir zu unhandlich, zu schwer und letztendlich auch zu teuer gewesen.

 

Kuppeln von Sacré-Coeur
Beeindruckend: die Basilika Sacré-Coeur

Es ist entsetzlich voll. Die Touristen stehen in dichten Trauben vor dem Geländer an der Aussichtsplattform und auf jeder einzelnen Stufe der Treppe, die zur Basilika Sacré-Cœur hinaufführt, scheint ein Urlaubsfotoshooting stattzufinden. Die Kirche sieht trotz aller positiven Neubewertungen der vielen Neo-Stile des 19. Jahrhunderts – Sacré-Cœur ist neo-byzantinisch – aus wie eine überdimensionale Hochzeitstorte. Das strahlende Weiß verdankt die Kirche den Château-Landon-Steinen, einem frostresistenten Travertin aus dem Département Seine-et-Marne. Der gibt beim Verwittern Calcit ab und nimmt so mit der Zeit dieses kreideartige Weiß an, das die Basilika vor allem nachts nahezu überirdisch leuchten lässt.

Im Innern der Basilika ist ein Bereich “Pour la prière” abgesperrt und wer sich dort hinsetzt, erlebt einen schönen Moment der Ruhe an diesem Ort, an dem seit 1885 unablässig gebetet wird, 24 Stunden am Tag, die ganze Woche hindurch. Wer mag, kann sich für das Nachtgebet anmelden.

 

Gräber auf dem Cimetiere Montmartre
Verträumt und grün – auf dem Cimétière Montmartre

Wir haben genug von Menschenmassen und Touristentrubel und radeln zum CIMÉTIÈRE MONTMARTRE. Der Pariser Südfriedhof, auf dem Menschen seit dem 17. Jahrhundert ihre letzte Ruhestätte finden, ist ein märchenhafter Ort mit großen Bäumen und viel Grün. Viele Berühmtheiten sind hier beerdigt, unter anderen Jeanne Moreau und Susan Sontag, denen ich gerne einen Besuch abgestattet hätte. Aber meine Reisegefährten zieht es zu Heinrich Heine, an dessen Grab wir uns gegenseitig die Lorelei und die Schlesischen Weber aufsagen.

 

 

Karussel im Park
Jules Verne stand Pate: das Karussel im Parc Monceau

Mittlerweile ist es Zeit für einen Kaffee und ein Eis. Beides gönnen wir uns im Parc Monceau, der an diesem Sonntagnachmittag vor allem von Familien mit kleinen Kindern bevölkert wird. Ein Karussel dreht sich, Menschen lagern auf den Rasenflächen und die Schlangen vor dem Kiosk sind lang. Mir fällt wieder einmal auf, wie viele unfassbar schöne und unglaublich gut angezogene Frauen in dieser Stadt zu sehen sind. “La Parisienne” existiert tatsächlich und ist nicht nur ein aus französischen Filmen und Chansons konstruiertes Hirngespinst.

 

 

Wie bei der Tour de France

Arc de Triomphe
Mit dem Rad zum Arc de Triomphe

Es gibt Dinge, die vergisst man im Leben nie wieder. Marmeladenglasmomente. Augenblicke, die so besonders sind, dass man sie am liebsten in Flaschen abfüllen würde für die Not- und Krisenzeiten des Lebens. In meinem Vorratsschrank steht jetzt ein weiteres Marmeladenglas: ich bin mit dem Fahrrad um den Arc de Triomphe herum gefahren. Zweimal. Wie bei der Tour de France. Das war ganz einfach unglaublich. Wenn  mir jemand vor dreißig Jahren erzählt hätte, dass ich eines Tages mit dem Fahrrad zum Grab des Unbekannten Soldaten fahren und auf die Champs-Élysées herunterschauen würde – ich hätte ihn für verrückt erklärt. Jetzt stehe ich genau dort und dann setze ich mich wieder auf mein Fahrrad, fädel mich in den Verkehr ein und drehe noch eine große Runde, bevor ich die Champs Élysées bis zu den Tuilerien herunterfahre. Ich bin völlig high.

Wie alle anderen Parks in Paris sind auch die Tuilerien für Fahrräder gesperrt. Wir müssen die Rue de Rivoli nehmen. Auch das ist ein unvergessliches Erlebnis: Früher war das die lauteste, stressigste Straße von ganz Paris. Im ersten Corona-Lockdown, als immer mehr Menschen von der Metro und dem Bus auf das Fahrrad umstiegen, richtete die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hier eine Fahrradstraße ein. Nur auf einer Spur dürfen noch Taxis, Lieferdienste, Rettungswagen oder Menschen mit Handicap fahren. Das Experiment bewährte sich, aus dem Pandemie-Provisorium ist ein Dauerzustand geworden. Ich bin ganz begeistert. Rechts der Park, links die schicken Geschäfte. Die Fahrbahn breit und komfortabel. Selten habe ich mich pariserischer gefühlt als auf dieser Strecke von der Place de la Concorde bis zum Hôtel de Ville.

FRau Bachmann radelt durch Paris
Radeln in der Rue de Rivoli

Rund 50 Kilometer Pariser Straßen werden dauerhaft zu Fahrradstraßen umgewidmet. Das ist kein verkehrspolitisches Diktat, sondern kommt den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung entgegen: Wegen der Streiks im öffentlichen Nahverkehr und der Coronakrise soll der Radverkehr in Paris innerhalb eines Jahres um 67 Prozent gestiegen sein. Im Rest des Hexagons schwingen sich wohl 29 Prozent mehr Menschen in den Fahrradsattel als noch vor zwei Jahren und der Trend scheint anzuhalten.

Wir machen noch einen kleinen Abstecher zum Louvre und zu Notre-Dame. Die Kathedrale ist mit Bauzäunen abgesperrt und teilweise eingerüstet, überall stehen Kräne – bis zu den Olympischen Spielen 2024 soll die Kirche, die am 15. April 2019 fast vollständig abgebrannt wäre, wieder soweit begehbar sein, dass dort Messen gefeiert werden können. Man hat sich übrigens dafür entschieden, Notre-Dame so originalgetreu wie möglich wieder aufzubauen – inkluisve des Spitzturms aus dem 19. Jahrhundert. Für den Dachstuhl werden seit einem Jahr etwa 1000 jahrhundertalte Eichen gefällt – einfach Beton zu nehmen wie bei der Kathedrale in Reims kam weder für die Puristen um den Fernsehhistoriker Stéphane Bern noch für Emmanuel Macron in Frage. Nach der Renovierung wird Notre-Dame trotzdem nicht genauso aussehen wie früher – sondern viel heller und luftiger.

So viel habe ich an einem Tag noch nie von Paris gesehen. Ich bin völlig begeistert. Paris ist so grün geworden, so schön und so entspannt.
Merci, Madame la Maire!

Raus ins Grüne

Das antike Lutetia war von einer Waldkrone umgeben, die im Mittelalter immer weiter abgeholzt wurde. Übrig geblieben sind die beiden großen Stadtwälder von Paris, der Bois de Boulogne im Westen und der BOIS DE VINCENNES im Osten. Dort fahren wir hin. Fast 1000 Hektar groß ist dieses für die Pariser Bevölkerung wichtige Naherholungsgebiet mit jeder Menge Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Das Fahrrad ist das perfekt Verkehrsmittel, um diesen Wald zu erkunden.

See im Parc Floral
See im Parc Floral

Am Parc Floral werden wir allerdings gebeten, die Fahrräder draußen zu lassen. Das gilt für alle umzäunten Gärten und Parks von Paris. Wer das schade findet, sollte sich überlegen, wie es wäre, wenn all die, die mittlerweile auf Rädern oder Rollern unterwegs sind, die Parks als Abkürzung nehmen würden. Mit der himmlischen Ruhe, nach der man sich in einer Pariser Mittagspause so sehnt, wäre es dann bald vorbei. So bummeln wir zu Fuß durch den 1969 angelegten Parc Floral und schauen in das eine oder andere der Gewächshäuser, die nach Themen sortiert sind. Wir staunen im Jurassic Parc über eine Welt ohne Blumen und riesiger Farne und hängen gleich nebenan unseren Karibikträumen nach.

Unser Mittagspicknick nehmen wir am Ufer eines der drei Seen des Bois de Vincennes ein, an einem anderen genießen wir Kaffee und Eis in einem sehr hübschen Gartenrestaurant. Ganz von ferne hört man das Rauschen der Autos auf dem Boulevard Périphérique – der Bois de Vincennes liegt zwar in Paris, gehört aber nicht der Stadt, sondern dem Staat. Deshalb konnten sich die Pariser*innen kaum wehren, als zwischen 1954 und 1973 diese Stadtautobahn gebaut wurde. Heute ist sie eine der am meisten befahrenen Straßen Europas. Aber angesichts dessen, was in den letzten Jahren in Paris an Verkehrswende stattgefunden hat, schöpfe ich tatsächlich Hoffnung, dass auch die Périphérique irgendwann menschen- und klimafreundlicher werden könnte.

Fontaine des Médicis
Perfekt zum Lesen oder für ein Rendez-vous – die Fontaine des Médicis im Jardin du Luxembourg

Aber man muss gar nicht so weit radeln, um in Paris im Grünen sitzen zu können. Einer meiner allerliebsten Lieblingsorte in Paris ist die Fontaine des Médicis im Jardin du Luxembourg. Während meines Studiums war dieser wirklich lauschige Platz eine kleine grüne Oase in der Betriebsamkeit des Unialltags. Ich wette, ich habe hier etwa die Hälfte meiner Semesterliteratur gelesen. Als Studentin ohne Geld war der Jardin ein perfekter Ort für die Mittagspause und für jede Art von Rendez-vous, romantisch oder nicht.

Es gibt unzählige weitere solche grünen Oasen in der französischen Hauptstadt – und es werden immer mehr. Zu den großen Parks und Gärten kommen viele kleinere Innenhöfe und begrünte Plätze. Wer Lust hat, das grüne Paris zu erkunden, dem sei der wunderschöne Stadtführer DIE GÄRTEN VON PARIS von Murielle Rousseau empfohlen. Die Autorin zeichnet darin ein ganz besonderes Porträt von Paris – voller Vogelgezwitscher und und liebenswerten Geschichten über Gartenliebhaber*innen.

Mädchen im Jardin du Luxembourg
Mittagspause im Jardin du Luxembourg

Paris à pied

So schön es auch ist, mit dem Fahrrad durch Paris zu kreuzen – einige Viertel sind nach wie vor am schönsten, wenn man sie zu Fuß durchstreift. Das Marais zum Beispiel, mit der charmanten Rue des Rosiers, der jüdischsten Straße in Paris mit ihren koscheren Bäckereien und Imbissbuden. Hier gibt es angeblich die besten Falafel der Stadt. Hin und wieder trifft man noch auf ein paar Männer mit Kippa und Schläfenlocken. Fast die Hälfte der jüdischen Gemeinde Frankreichs lebt in Paris und dort vor allem im Marais.

Hutgeschäft im Marais
Pariser Eleganz im Marais

Aber wer durch das Marais bummelt, wird nicht nur an dieser besonderen Atmosphäre seine Freude haben, sondern auch an den vielen hübschen Cafés und Restaurants, den unzähligen Galerien und den stylishen Boutiquen für Kleidung und Kruscht aller Art. Dazwischen findet sich imer wieder ein kleiner begrünter Innenhof oder Garten für eine Pause oder ein wunderschönes Stadtpalais: im 17. Jahrhundert wurde das ehemalige Sumpfgebiet vor den Toren von Paris der bevorzugte Wohnort des Adels.

 

 

Place des Vosges
Morgenstimmung auf der Place des Vosges

Die Place des Vosges ist der schönste Platz der Welt. 140 mal 140 Meter perfekte Harmonie, wohlproportioniert, gepflegt und elegant. Ein wirklich königlicher Platz, zwischen 1605 und 1612 erbaut von dem französischen König Henri IV, der die feierliche Einweihung nicht mehr erlebte: 1610 fiel er einem Attentat zum Opfer. Madame de Sévigné wurde hier geboren und Victor Hugo wohnte sechzehn Jahre lang in der zweiten Etage des Hauses Nr. 6.

Besonders schön ist der Platz an einem Frühlingsmorgen. Hier fährt man natürlich nicht Fahrrad, sondern sitzt auf einer der Bänke im Schatten oder auf dem Rasen und liest ein Buch. Das sieht man tatsächlich und zwar öfter als in Deutschland: Menschen, die nicht nur mit ihrem Handy beschäftigt sind, sondern tatsächlich ein richtiges Buch lesen. Und es gibt noch viele richtige Buchhandlungen in Paris. Zum Beispiel LA MANOEUVRE in der Rue de la Roquette, die  sich ein bisschen auf Bücher über Fotografie und Musik spezialisiert hat, aber viel feine Literatur bereit hält und einen ganzen Tisch den “coups de coeur” der Mitarbeiter*innen widmet.

Frau vor Buchhandlung
Catherine Domain vor ihrer Buchhandlung – der ältesten Reisebuchhandlung der Welt

Die schönste Entdeckung mache ich aber auf der Île Saint Louis. Dort betreibt Catherine Domain die älteste Reisebuchhandlung der Welt: Im ULYSSE türmen sich neue und (viele) alte Bücher bis unter die Decke, sind auf dem Boden gestapelt, liegen in Kisten und Kästen. Ein Bücherparadies für Fernwehkranke, in dem die passionierte Inhaberin mit traumwandlerischer Sicherheit das findet, was gerade gesucht wird. Wie gut, dass es auf dieser Welt noch solche Orte gibt.

Aber die Île Saint-Louis ist nicht nur wegen Catherine Domain und ihrer Buchhandlung einen Spaziergang wert. Noch verträumter als hier kann Paris nirgends sein. Die kleinere der beiden Inseln in der Seine ist ein zauberhafter Ort abseits des Touristenrummels rund um die Île de la Cité und Notre-Dame, wo man ganz wunderbar durch die kleinen Gassen schlendern, einen Café trinken und in vielen Feinkostgeschäften die Zutaten für ein luxuriöses Mittagspicknick kaufen kann.

Ich kann stundenlang in Paris herumlaufen und mich an der Schönheit meiner Lieblingsstadt berauschen.

Café in Paris

 

 

 

 

 

 

6 Antworten

  1. Liebe Andrea,
    ich bin hin und weg…
    …soo beeindruckende Zeilen über unsere schöne Tour und darüberhinaus
    ein ganz herzliches Dankeschön
    Gert

  2. Liebe Andrea,
    Du verstehst es wirklich, einen auf Deinen Radtouren und Spaziergängen in Paris mitzunehmen.
    An manches hab ich mich erinnert, aber das meiste war mir nicht bekannt. Wir waren zwei mal mit Jörg Widmann und einer Reisegruppe in dieser wunderschönen Stadt, aber eben zu Fuß. Zudem habe ich zwar Latein und Griechisch gelernt, aber nie Französisch.
    Die Reisebilder, die du zeichnest sind so zauberhaft und lebendig, dass es eine große Freude ist, die Texte zu lesen.
    Und du kannst einfach gut schreiben.
    Dankeschön!

  3. Hallo Andrea,
    mit deinem Reisebericht hast Du unsere spannenden Tage in Paris nochmals wunderbar wiederaufleben lassen und ich kann sie gut in bleibender Erinnerung behalten. Herzlichen Dank dafür.
    Ursula

  4. Liebe Andrea,
    hatte schon lange vor, in einem ruhigen Viertelstündchen Deinen Bericht zu lesen.
    So, wie Du als “halbe Französin” uns mit begeistern konntest, kommt es jetzt auch rüber.
    Danke, vielleicht ergibt sich ja wieder eine Gelegenheit, etwas ähnlich Inspirierendes zu erleben – vom Fahrradsattel aus.
    Herzlich grüßt Friedhelm

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