Sehnsucht – Caspar David Friedrich in Hamburg

Ja, es waren viel Leute da. Ja, es ist ein hochgejazztes Großereignis. Ja, nicht alle Besucherinnen und Besucher, die an diesem Sonntagnachmittag durch die Säle der HAMBURGER KUNSTHALLE flanieren, sind passionierte Kunstliebhaber, Romantikfreaks und Friedrichfans. Viele von ihnen sind nur da, weil man da jetzt eben ist. Um mitreden zu können. Um dabei gewesen zu sein.

 

Die Hamburger Kunsthalle bei nacht
Ein Wallfahrtsort für romantische Seelen und solche, die es werden wollen: Die Hamburger Kunsthalle zeigt Caspar David Friedrich

Ins Bild fallen

Aber wer eine Weile nicht die Bilder an den Wänden, sondern die Menschen davor anschaut, wird eine erstaunliche Entdeckung machen. Immer wieder passiert es, dass jemand, der eher achtlos an den vielen Gemälden und Zeichnugen vorbei geschlendert ist, plötzlich stehen bleibt. Vor einer Gebirgslandschaft, einer Ruine, einem Baum im Schnee, einem Schiff auf der Ostsee. Dann scheint diese Person plötzlich in das Bild hineinzufallen. Sich in ihm zu verlieren und zu vergessen.

Für Florian Illies, der das ganz wunderbare Buch ZAUBER DER STILLE über Caspar David Friedrich geschrieben hat, das nicht so sehr eine Biographie des Malers, sondern vielmehr eine seiner Werke ist, ist dieser Sohn eines Greifswalder Seifensieders einer der größten und bedeutendsten deutschen Maler, vergleichbar mit Albrecht Dürer. Aber dieser Ehrentitel erklärt nicht den Zauber, den man spürt, wenn man vor diesen großen Himmeln und weiten Berglandschaften steht.

Viele Bilder von Caspar David Friedrich sind so bekannt, dass man überrascht ist, wenn man sie zum ersten Mal im Original erblickt. Vor einigen Jahren habe ich in einer Ausstellung in Berlin den gerade frisch restaurierten MÖNCH AM MEER gesehen und war angesichts dieser unwirklichen Blau-und Grautöne völlig überwältigt. Ich kannte nur Abbildungen aus der Zeit, als das Gemälde noch unter dicken Firnisschichten verborgen war und hatte überhaupt nicht verstanden, wie Heinrich von Kleist zu seiner radikalen Bemerkung kommen konnte, dass das Bild auf ihn wirke, als hätte man ihm die Augenlider abgeschnitten.

 

Das Bild "Mönch a m Meer" von Caspar David Friedrich in einem goldenen Rahmen an einer grauen Wand
Sehnsucht und Einsamkeit. Caspar David Friedrich malt Seelenspiegel.

Jetzt sitzen wieder Menschen ganz still vor diesem dramatischen Seestück, in dem Strand, Wasser und Himmel in einer einzigen großen Ausgesetztheit und Einsamkeit verschmelzen. Klein und verloren sieht der Mönch unter dem großen Himmel und vor dem endlos weiten Meer aus. Und gleichzeitig sieht man in ihn eine tiefe Sehnsucht nach diesen Weiten hinein.

Verloren oder geborgen?

Florian Illies erzählt, wie der MÖNCH AM MEER für Heinrich von Kleist zur Vorlage für die Inszenierung seines Suizids am Wannsee wurde und wie König Friedrich von Preußen das Bild für seinen 15-jährigen Sohn kaufte, der darin Trost nach dem Tod seiner Mutter fand.

Jetzt schaue ich mir das Bild von Caspar David Friedrich an und frage mich, ob ich mich angesichts dieser Ausgesetztheit verloren fühle wie Heinrich von Kleist oder getröstet wie der preußische Kronprinz.

Es ist vermutlich kein Zufall, dass der protestantische Friedrich einen Mönch gemalt hat und keinen Seemann, keine verlassene Frau, keinen Wanderer wie er selbst immer einer war. Stattdessen malt er eine Figur, die die Nähe Gottes quasi per Aufgabenbeschreibung in sich trägt. In seiner Einsamkeit und Ausgesetztheit ist der Mönch immer noch mittendrin in Gottes Schöpfung.

Angst und Sehnsucht

Vielleicht ist es das: Wir leben gerade mit so vielen Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten. So oft ist die Angst vor der Zukunft größer als die Freude an einem Neuanfang. Da ist es wirklich tröstlich zu sehen, wie jemand selbst in der größten Ausgesetztheit nicht verloren ist.

Für Friedrich scheint die Ambivalenz zwischen Angst und Sehnsucht angesichts maßloser Weiten ein wichtiges Thema gewesen zu sein: Der KREIDEFELSEN AUF RÜGEN umrahmt die endlose, blaue Ostsee. Drei Personen, zwei Männer und eine Frau, haben sich bis an den Rand der Felsen gewagt. Einer der Männer liegt bereits flach auf dem Boden, die Frau hält sich am Wurzelwerk eines Baumes fest. Beide schauen in den Abgrund, ihre Körperhaltungen verraten das Entsetzen vor der Tiefe. Der Mann links im Bild steht hingegen lässig an einen Felsen gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, und schaut in die Ferne.

 

Ein großes SEegelschiff auf hoher See in Brauntönen
Hohe See. Kein Hafen, kein Ufer. Freiheit aushalten.

Hier ist die Ferne noch gerahmt und gezähmt durch die Felsen und die Bäume. Ein Ausblick auf die unendliche Weite vom halbwegs sicheren Ufer aus. Wie bei den vielen Hafenbildern, auf denen Menschen am Kai stehen und des aus- oder einfahrenden Schiffen entgegenblicken. Aber immer wieder mutet Caspar David Friedrich uns auch grenzenlose Weite zu. Hohe See. Kein Hafen, kein Ufer, kein Halt, nirgends. Diese Freiheit muss man erst einmal aushalten.

Seelenspiegel

„Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht.“

Das ist Friedrich so gut gelungen, dass auch die Menschen, die vor seinen Bildern stehen, in diesen Landschaften das sehen können, was in ihnen ist. Seelenspiegel.

Wer jedoch nach den konkreten Orten und Plätzen sucht, die Friedrich gemalt hat, wird vergeblich suchen – die eindrucksvollen Landschaften entstanden alle im Atelier. Von seinen langen Wanderungen brachte Friedrich lediglich Skizzen und Studien nach Hause, die er dann zu fantastischen Collagen verarbeitete. Den Watzmann hat er nie mit eigenen Augen gesehen. Er malte ihn einfach von einem anderen Bild ab und packte in den Vordergrund ein paar Gesteinsbrocken, die er auf seiner Harzreise gesehen und gezeichnet hat. Und schaffte so kollektive Sehnsuchtsorte.

 

Sepiastudie eines kahlen Baumes von Caspar David Friedrich
Genau hinschauen: Bleistiftskizzen von Caspar David Friedrich

Die Hamburger Ausstellung zeigt neben den vielen berühmten Gemälden auch zahllose Zeichnungen, die Friedrich auf seinen Wanderungen und Streifzügen angefertigt hat. Hier kann man sehen: Da schaut jemand ganz genau hin. Jede Holzmaserung, jeder Schatten im Gestein, jede winzige Abbruchkante in einer Eisscholle – ihm entgeht nichts. Seine fantastischen Bilder entstammen sämtlich einer unglaublichen Beobachtungsgabe, Detailversessenheit und Perfektionismus. Diese Mischung aus Präzision und Phantasie gehört sicherlich zu den Dingen, die seine Bilder so besonders machen.

Präzision und Phantasie

Es ist faszinierend und wundervoll, zu sehen, wie aus all diesen Bleistiftskizzen und Sepiastudien ein Bild von atemloser Wucht entsteht. Wie aus weißer Farbe Licht wird. Wie aus minutiösen Bemerkungen über Proportionen, Entfernungen, Farben, die Friedrich in seine Studien kritzelt, Tannenwälder entstehen, aus denen weißer Nebel aufsteigt wie Elfenhaar. Seine Zeitgenossen wie der norwegische Maler JOHAN CHRISTIAN DAHL waren sich einig, dass kaum jemand so perfekt Luft malen konnte wie er.

 

  • Ein Bild von Caspar David Friedrich, das einen kahlen Baum mit Schneeresten auf den Zweigen zeigt
    Licht und Luft malen.

 

Eiskalte, klare Wintermorgen. Sanftes Mondlicht. Nebelmeere. Diesige Schönwettersommerhimmel über der Ostsee.

Goethe, den Caspar David Friedrich sehr bewunderte und um dessen Aufmerksamkeit er sich jahrelang bemühte, bat den Maler einmal, ihm Muster der unterschiedlichen Wolkentypen zu malen. Nachdem 1802 der englische Apotheker LUKE HOWARD in einem Aufsatz „Über die Modifikationen der Wolken“ das noch heute gültige System zur Klassifizierung der Wolken und Überlegungen zur ihrer Entstehung und Veränderung angestellt hatte, wurden Cirrus, Stratus und Cumulus zum Salongespräch. Die sorgfältige Sortierung des Himmels entsprach vollkommen Goethes Anspruch, die Welt in Schubladen aufräumen zu können. Caspar David Friedrich lehnte das Angebot, das ihn doch endlich ion die Nähe des berühmten Geheimrats hätte bringen können, jedoch dankend ab. Für ihn sollte der Himmel bleiben, wie er war. Ein Wunder der Schöpfung, märchenhaft, unfassbar und unendlich.

DER HERR DER WOLKEN von Stéphane Audeguy ist ein eleganter Mix aus Bildungsroman, Wissenschaftsgeschichte und Romanze und eine ganz große Leseempfehlung für alle, die sich gerne in die Luftbilder von Caspar David Friedrich hineinträumen.

Schönheit und Schrecken

Eine Ölskizze von Caspar David Friedrich, die Eisschollen an der Elbe zeigt
Eisschollen auf der Elbe. Ölskizze

1820 friert in Dresden die Elbe zu. Caspar David Friedrich verbringt Stunden um Stunden am Fluss und fertigt Skizzen von den aufbrechenden, aufgetürmten Eisschollen an. Daraus entsteht im Dämmer seines Ateliers eines seiner radikalsten und verstörendsten Bilder: DAS EISMEER, ein nahezu apokalyptisches Winterbild. Erst auf den zweiten Blick entdeckt die Betrachterin das an den Eisklippen zerschmetterte Schiff, Symbol menschlicher Hybris, die meint, sich die Erde allzu untertan machen zu müssen. Auch dieses Bild ist nichts anderes als eine fantastische Collage. Nichts ist wirklich, aber alles ist wahr.

Das Gemälde „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich: Eisschollen und ein zerschmettertes Schiff
Von der Elbe an den Polarkreis. Eine radikale Collage.

Caspar David Friedrich malt, was er in sich sieht. Schönheit und Schrecken. Seine Werke sind radikaler und moderner als uns bewusst ist, weil wir so gerne Romantik mit romantisch verwechseln und die Nacht- und Schattenseiten hinter dem Idyll nicht sehen. Er schafft Sehnsuchtsorte wie den Kreidefelsen auf Rügen und Alptraumszenarien wie den Mönch am Meer. Aber er malt immer im Vertrauen darauf, selbst im Moment größter Ausgesetztheit in Gottes Schöpfung geborgen zu sein.

Das trägt. 200 Jahre weit. Bilder voller Aufbruch und Weite, Stille und Trost.

 

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