Im Mutterkummerland

Wenn ich an meine Mutter denke, dann denke ich an eine Frau, die in aufgekrempelten Jeans und Baumwollpulli barfuß durchs Watt läuft, Wind und Sonne im Gesicht. Ich denke an eine Frau im eleganten Hosenanzug, die in einem Büro auf und ab geht und in ein Diktiergerät spricht. An eine Frau in einem Malerkittel, die vor einer Staffelei sitzt, malt und dabei laut und falsch Opernarien singt. Die im Bad steht und sich sorgfältig schminkt und frisiert, bevor sie ins Theater geht. Die im Garten unterm Birnbaum liegt und liest.

eine lachende Frau mit weißen Haaren
Sonne im Gesicht. Wind im Haar. Gut gelaunt und strahlend. Das war vor fünf Jahren.

Wenn ich an meine Mutter denke, denke ich nie an eine alte Frau, die in einem dunklen Zimmer im Sessel sitzt und vor sich hin starrt. Oder weint. Der die Beine den Dienst versagen, wenn sie das Haus verlassen soll. Die nicht mehr ausgeht, nicht mehr liest, nicht mehr malt und sich über nichts mehr freuen kann. Die sich nicht mehr wäscht und immer dieselben kaputten alten Schuhe trägt, in denen sie kaum noch laufen kann. Die sagt, dass sie sterben will.

Die ersten Anzeichen

Es hat im Winter 2021 angefangen. Als die Theater wieder schließen mussten, Ausstellungen abermals abgesagt wurden und man meiner Mutter für ein weiteres Schuljahr nicht erlauben konnte, ihr geliebtes Ehrenamt als LESEPATIN in einer Grundschule auszuüben. Als Freundschaften an Impfdiskussionen zerbrachen und wir alle „pandemüde“ waren. Da wurden die Telefongespräche mit ihr plötzlich mühsam. Ihre Stimme klang farblos und sie klagte darüber, so „wackelig“ zu sein.

Ich begann mir Sorgen zu machen und fuhr zu ihr. Wir verbrachten eine Woche mit unseren üblichen gemeinsamen Unternehmungen: lange Spaziergänge am Strand, Stadtbummel mit Mittagessen, Ausstellungen und Museumsbesuche.

Sie war anders als sonst. Sie vergaß Dinge, die man üblicherweise nicht vergisst. Sie bot mir Wein an, den ich seit über zehn Jahren nicht mehr trinke. Sie verwechselte die Namen meiner Kinder. Sie war noch nie eine besonders gute Köchin gewesen, aber jetzt beschränkte sich ihr Speiseplan auf  TK-Gemüse und Spiegeleier ohne Salz und Pfeffer.

Es war die Zeit der Pandemie, als man überall seinen Impfausweis zeigen musste. Meine Mutter hatte ein Exemplar auf dem Handy gespeichert und außerdem eins in Scheckkartenformat in ihrer Handtasche. Wenn sie jemand nach dem Ausweis fragte, wurde sie jedes Mal nervös und fahrig. An einer Museumskasse bekam sie ihre erste richtige Panikattacke. Sie kramte in ihrer Handtasche, tippte verzweifelt auf ihrem Handy herum, fand den Ausweis nicht, begann am ganzen Leib zu zittern und weinte schließlich. Die Dame an der Museumskasse  ließ uns einfach durch.

Das war der Moment, in dem sich alles drehte. Seitdem ist nichts  mehr wie vorher.

Rückzug und Isolation

Meine Mutter ist ein Flüchtlingskind. 1945 kam sie, fünfjährig, an der Hand ihrer 25-jährigen Mutter von Hinterpommern nach Schleswig-Holstein. Erinnerungen an diese Zeit hat sie kaum. Aus Erzählungen meiner Großmutter weiß ich, dass man dem kleinen Mädchen Geldscheine in die Schuhsohlen genäht hatte. Man hat mir Geschichten von Flüchtlingslagern erzählt, in denen arbeitsfähige junge Frauen von ihren Familien getrennt und „nach Russland“ geschickt wurden. Ich habe Fotos von Kindern gesehen, um deren Hals Pappschilder mit Namen und Adresse hingen. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter in Bus oder Zug die Fahrkarte stets griffbereit in der Hand hielt und sich nie entspannt zurück lehnte, um aus dem Fenster zu schauen oder gar ein Buch zu lesen. Ohne eine Handtasche, in der sich alle wichtigen Ausweise befanden, ging man höchstens zum Bäcker. Aus all dem konstruierte ich eine etwas küchenpsychologische Erklärung für das Verhalten meiner Mutter. Es half mir, sie zu verstehen. Ihr half es nicht.

Meine Mutter zog sich völlig von der Welt zurück. Verließ kaum noch das Haus.

Die Corona-Einschränkungen fielen. Kaum jemand trug noch eine Maske. Konzerthäuser und Kinosäle öffneten wieder. Meine Mutter ging höchstens noch im nahe gelegenen Stadtwald spazieren.

Ich fuhr alle paar Wochen nach Flensburg. Versuchte, mit ihr all die Dinge zu unternehmen, die ihr immer so viel Freude gemacht hatten. Es war mühsam. Sie resignierte immer mehr. Sagte Verabredungen mit Freundinnen ab, die sich bald kaum noch meldeten. Ließ Briefe unbeantwortet und Rechnungen unbezahlt liegen. Ihre Freundin schlug Alarm, ich fuhr noch öfter hin und her und kümmerte mich um Arzttermine und Handwerker, räumte ihren Schreibtisch auf und putzte ihre Wohnung.

Der Hausarzt verschrieb Blutdrucksenker und Vitaminpräparate.

Zu Weihnachten erlitt sie einen Herzinfarkt. Ich verbrachte zwei Wochen bei ihr und machte WEIHNACHTSPUTZ.

Die Ärztin im Krankenhaus empfahl einen Aufenthalt in einer ambulanten psychiatrischen Klinik. Sie bekam schnell einen Platz, ich atmete auf. Alles würde besser werden.

Nach einer Woche brach sie die Therapie ab.

Noch nie habe ich mich so mit meiner Mutter gestritten wie an diesem Tag. Noch nie.

Der Sessel

Es wurde Frühling und es wurde Sommer. Ich verbrachte jeden Monat einige Tage in Flensburg. Hin und wieder gelang es uns, sie dazu zu bringen, etwas zu unternehmen. Im Juni fuhren wir für einen Tag nach FÖHR. Dort haben wir alle Sommerferien meiner Kindheit verbracht. Föhr ist unser SALTKROKAN, Sehnsuchts- und Erinnerungsort zugleich.

Segelschiffe an einem Sommertag auf der Nordsee
Föhr. Sommertag mit Segelbooten.

Es war der letzte richtig gute Tag.

Die ganze Zeit versuchte ich  ihr einen erneuten Therapieversuch schmackhaft zu machen. Bot ihr an, für die Wochen, die die Therapie dauern würde, bei ihr zu wohnen und sie zu begleiten. Sie lehnte ab. Verkroch sich in ihrem Sessel.

Diesen Sessel hatte sie sich Anfang der 80er-Jahre gekauft. Ein richtiges Designerstück, irrsinnig schick und angemessen teuer, aus dem angesagtesten Möbelhaus der Stadt. Ich erinnere mich, wie stolz und glücklich sie war, als er geliefert wurde und seinen Platz im Wohnzimmer fand. Für meine damals frisch geschiedene Mutter war dieser Sessel Ausdruck ihrer finanziellen Unabhängigkeit, ihres beruflichen Erfolges, ihres schönen, neuen Lebens als moderne, selbständige Frau, die keinen Mann mehr um Erlaubnis fragen musste, wenn sie Geld ausgeben wollte.

Jetzt wurde dieser Sessel, längst durchgesessen und speckig, ihr Gefängnis. Depression in Cordsamt.

Hoffnung

Im August bekam ich einen Auftrag für ein großes, neues Projekt. Ich nahm den Auftrag an und damit war klar, dass ich im neuen Jahr nicht für längere Zeit Tübingen verlassen kann.

Ich redete mit meiner Mutter. Sie wollte es sich überlegen. Ich telefonierte mit ihr. Sie meinte, es ginge ihr schon viel besser, sie wäre zum Bäcker gegangen und hätte sich ein Mandelhörnchen gekauft. Ich schrieb ihr einen richtigen Brief. Auf Papier. Stellte ihr ein Ultimatum: Sollte sie jetzt immer noch eine Therapie ablehnen würde ich nie wieder darüber reden. Aber dann sei die Chance auch verpasst und die Tür verschlossen. Jetzt oder nie.

Jetzt.

Ich fuhr zu ihr und wir organisierten eine Einweisung und ein Vorgespräch. Sie war skeptisch, aber ich wischte voller Hoffnung sämtliche Zweifel vom Tisch. Die Menschen, die ich in der Klinik kennen lernte, machten auf mich den besten Eindruck, ich war überzeugt, dass es möglich sein würde, meiner Mutter wieder einen Teil ihrer Unternehmungslust und Lebensfreude zurück zu bringen.

Kunstausstellung auf einer WErft, die Yachten restauriert
Robbe & Berking. Yachten und Kunst.

Wir fuhren zu BERKINGWERFT und auf die NORDART und schauten uns Kunst an. Ich wollte nicht sehen, wie viel Kraft es meine Mutter kostete, für irgendetwas noch Interesse zu zeigen. Manchmal blieb sie vor einem Bild stehen und sagte richtig schlaue Sachen über Farben und Maltechnik. So wie früher.

Frau Bachmann und ihre Mutter sitzen auf einer Bank
NordArt. Ausruhen von der Kunst.

Mein Leben auf Stand-By

Mein eigenes Leben stellte ich auf Stand-By. Ich verteilte alle meine bereits gebuchten STADTFÜHRUNGEN an meine Kolleg*innen und meldete mich in der KUNSTHALLE, im HÖLDERLINTURM und bei der Zeitung ab. Nachts lag ich wach und fragte mich, wie mein Winter aussehen würde, wenn ich auf diese ganzen Einnahmen einfach verzichtete. Ich bin Freiberuflerin. Wenn ich nicht arbeiten will oder kann, ist das problemlos möglich. Aber ich verdiene dann nichts. Glücklicherweise genießt meine Mutter eine komfortable Beamtinnenpension. Ich vertraute darauf, mit Schreiben und Redaktionsarbeit noch genug zu verdienen, um meine Fixkosten zu decken, für mein tägliches Brot wäre in Flensburg gesorgt. Schlimmstenfalls könnte ich eine Weile von Erspartem leben.

Ich ging ein letztes Mal schwimmen. Machte die letzte Stadtführung. Erntete das letzte Gemüse in meinem ohnehin wieder verwilderten Gemüsebeet. Packte einen Koffer voller Herbstsachen und schickte ihn nach Flensburg. Vor allem aber schreib ich lange Listen von Dingen, die ich in Flensburg tun wollte. Ein neues Theaterstück anfangen, alle Blogtexte schreiben, die als Entwürfe im Ordner lagen, mehrere Onlinekurse absolvieren, viele Bücher lesen, eine Serie für die Zeitung schreiben. Ich freute mich auf dieses Sabbatical in meiner alten Heimat. Auf lange Spaziergänge am Strand und auf Zeit für mich.

Alles auf Anfang

An einem sonnigen Morgen Ende September begleitete ich meine Mutter  zum ersten Mal in die Klinik. Meine Hoffnung war grenzenlos. Alles würde gut werden.

Eine Hauswand aus backstein mit einem Metallrelief, das ein SEgelschiff mit einem Kreuz darstellt.
Hoffnungszeichen an der Klinikmauer

Die ersten Tage verbrachte ich damit, die Wohnung zu putzen, mir einen Arbeitsplatz einzurichten, meine Koffer auszupacken. Am Freitag brach meine Mutter erneut die Therapie ab. Sie wolle selbstbestimmt leben, ihr ginge es gut, sie brauche nichts und niemanden. Ich flippte aus.

Ich sehe ein, dass es schwierig ist, Hilfe anzunehmen, wenn man immer unabhängig war. Ich sehe ein, dass eine Depression sich immer selbst im Weg steht. Ich sehe ein, dass das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen über allem steht.

Aber wie weit reicht dieses Selbstbestimmungsrecht? Mein Mutter kann sich nicht mehr selbst versorgen. Sie wäscht weder sich noch ihre Kleidung. Sie geht nicht alleine einkaufen. Sie bezahlt keine Rechnungen, sie geht nicht zum Zahnarzt. Ein Pflegedienst sorgt dafür, dass sie ihre Tabletten nimmt, sie bekommt Essen auf Rädern, beides wird von mir organisiert. Selbstbestimmt leben – das bedeutet auch, dass man in der Lage ist, den eigenen Alltag wenigstens einigermaßen im Griff zu haben. Selbstbestimmt leben bedeutet nicht, von der eigenen Tochter zu erwarten, wie ein Heinzelmännchen dafür zu sorgen, dass alles in Ordnung ist, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass nichts mehr in Ordnung ist.

Ich drohte damit, alles hinzuschmeißen und sie einer gesetzlichen Betreuung zu unterstellen, wenn sie nicht wenigstens den Versuch unternehmen wollte, wieder auf die Füße zu kommen.

Am nächsten Montag ging sie wieder in die Klinik. Ich atmete auf. Schöpfte Hoffnung.

Klinikalltag

Unser Leben zu zweit pendelte sich ein. Aber jeder Morgen war eine neue Herausforderung. Die Panikattacken hörten nicht auf, manchmal dauerte es über eine Stunde, bis meine Mutter in der Lage war, das Haus zu verlassen. Wenn ich sie nachmittags abholte, beschwerte sie sich bitterlich. Man säße dort nur herum, meinte sie. Es sei sterbenslangweilig. Ich fragte nach den Therapieangeboten. Sie fand alles kindisch. Sie, die jahrelang Yoga geübt hatte, sollte jetzt Hockergymnastik machen. Mandalas ausmalen. Bilderrätsel lösen. Und es sei unerträglich, den ganzen Tag eingesperrt zu sein.

Ich sprach mit den Therapeut*innen, allesamt sympathische Menschen, die Gelassenheit und Kompetenz ausstrahlten. Meine Mutter würde gut mitarbeiten, meinten sie. Aber sie sei sehr distanziert.

Eine Woche nach der anderen verging. Nichts wurde besser. Wenn meine Mutter daheim war, saß sie in ihrem Sessel, allenfalls hörte sie ein bisschen Klassikradio. An den Wochenenden versuchten wir kleine Ausflüge. Eine Ausstellung, ein Konzert. Meine Mutter machte alles mit, aber hatte an nichts wirklich Freude. Ihre Vergesslichkeit wurde eher schlimmer statt besser. Manchmal fragte sie mich am Sonntagabend, was wir nachmittags gemacht hatten.

Haus, vor dem eine große schwarze Skulptur steht
Herbstnachmittag im Skulpturenpark Schloss Gottorf.

Ich machte den Haushalt. Traf mich hin und wieder mit einer Freundin meiner Mutter zum Mittagessen. Meldete mich in einem Fitnessstudio an und ging dort vier Mal in der Woche hin, um Pilates zu üben oder mich auf einem Crosstrainer auszutoben. Fast täglich telefonierte ich mit Pflegeeinrichtungen und Beratungsstellen. Denn es war klar: meine Mutter würde mehr Pflege und Betreuung brauchen als bisher.

Zwischendurch versuchte ich zu arbeiten. Aber von dem Sabbatical, von dem ich geträumt hatte, konnte keine Rede sein. Ich schaffte nur das Allernötigste. Meine Energie und meine Gedanken waren woanders.

Es wird nicht immer alles wieder gut

Nach vier Wochen war eigentlich klar, dass der Klinikaufenthalt nicht den erhofften Erfolg haben würde. Demenz, Depression und Angststörung saßen schon längst viel zu tief.

Nach sechs Wochen wurde meine Mutter entlassen. Sie war erleichtert. Aber an ihrem Zustand änderte sich nichts. Die Tränen flossen nach wie vor unaufhörlich, jede Kleinigkeit war zu viel. Gleichzeitig lehnte sie jede Hilfe ab. Die Pflegerin, die ihr beim Duschen und Haarewaschen behilflich sein sollte, setzte sie vor die Tür.

Ich bin immer noch bei ihr. Aber ich kann nicht mehr lange bleiben. Ich muss endlich wieder richtig arbeiten. Meine finanziellen Reserven sind aufgebraucht, nicht zuletzt, weil ich nicht die Hälfte von dem geschafft habe, was ich mir vorgenommen habe. Außerdem habe ich Heimweh. Ich möchte in mein Leben zurück.

Ein Pflegeheim wäre die beste Lösung, für sie, für mich, aber meine Mutter weigert sich, überhaupt nur darüber nachzudenken. Ich müsste sie entmündigen und zwangseinweisen lassen und das bringe ich nicht übers Herz. Ich versuche, einen ambulanten psychiatrischen Pflegedienst zu organisieren, der uns für ein paar Wochen Luft verschafft. Meine Ratlosigkeit ist grenzenlos.

Frau Bachmann und ihre Mutter schauen Fotos an
Facetime mit Enkelsohn und Urenkeltochter. Es gibt auch gute Momente.

Dazu kommt das schlechte Gewissen. Wäre es nicht besser gewesen, meine Mutter in dem Glauben zu lassen, ihr Zustand sei nur eine vorübergehende Unpässlichkeit, nicht behandlungsbedürftig und bald wieder vorbei? Einer ihrer Lieblingssätze vor ihrem Klinikaufenthalt war: „Das wird schon wieder.“ Das sagt sie schon lange nicht mehr. Musste ich ihr diesen Therapieversuch wirklich zumuten? Hätte ich nicht einfach weiter zwischen Tübingen und Flensburg pendeln und so tun können, als bräuchte sie nur ein bisschen Unterstützung? Ist es wirklich so wichtig, dass man sich regelmäßig die Haare wäscht? Das Haus verlässt, um Brot kaufen zu gehen?

Ich weiß es nicht mehr.

Manchmal haben wir gute Momente. Dann schimmert ein bisschen Licht durch das Grau der Depression, dann sagt sie einen Satz, der nicht nur Reflex ist, dann lachen wir gemeinsam, dann erinnert sie sich an etwas, was schön war. Das sind kostbare Augenblicke.

Sie möchte sterben, sagt sie.

Ich verstehe sie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

16 Antworten

  1. Liebe Andrea,
    Deine Geschichte geht mir sehr unter die Haut. Ich könnte jetzt viel darauf schreiben, werde es allerdings nicht tun. Es wäre zu persönlich. Ich erlaube mir zu sagen, dass deine Mama retraumatisiert wurde durch die Ereignisse in der Pandemie.
    Vieles kenne ich. Sogar von mir selbst. Panikattakten, Selbstisolation, Angststörungen, Retraumatisierung, Freundschftsbrüche. Danach zwei Jahre harte Arbeit nach einer Erschöpfungsdepression und nun Fibromyalgie, Sehstörungen usw. sind entstanden. Erst in den letzten Monaten bin ich wieder ich… Und daraus gewachsen… Und manches geht immer noch nicht.
    Ich fühle mit deiner Mama sehr mit und auch mit dir. Als Angehörige das alles mit ansehen zu müssen ist unbeschreiblich dramatisch.
    Es bleibt nur die Annahme dessen und die Akzeptanz.
    Bleib stark, liebe Andrea
    Herzensgrüsse Sue

  2. Liebe Andrea,
    Danke für diesen wunderbaren, berührenden Beitrag.
    Ich musste auch in diesem Jahr meinen Papa ins Pflegeheim geben und die Wohnung auflösen, wovon er bei heute nichts weiß.
    Ich wünsche euch ganz viel Kraft und Liebe für die kommende Zeit.
    Herzensgrüsse von Ines

    1. Danke, liebe Sabiene. Ja, meine Mutter ist wirklich sehr tapfer. Manchmal steht ihr das Tapfersein aber im Weg. Aber so geht es vermutlich allen tapferen Menschen…

  3. Liebe Andrea,
    was für eine Aufgabe du für dich und deine Mutter da meisterst. Unfassbar, dass es keine Hilfe gibt und nur Wege, die nicht richtig oder nicht machbar erscheinen. Ich kann mir kaum vorstellen, was für einen inneren Kampf du gerade erlebst und ich wünsche dir von Herzen, dass du Kraft für die nächsten Monate hast. Du gibst so viel – mehr geht nicht, denn du musst auch überleben. Da sind ja noch mehr Menschen, für die du wichtig bist. Noch viele Jahre. Wie schafft man die Balance und wie teilt man seine Kräfte ein? Was für eine Herausforderung!

  4. Liebe Andrea,
    ich weiß wie schwierig es ist, den Verfall seiner Eltern mitzuerleben.
    Du wolltest unbedingt, das es ihr besser geht.
    Verstehe ich. Natürlich.
    Aber für manche Menschen geht es gar nicht darum, das irgendetwas besser wird.
    Deine Mutter trifft immer wieder Entscheidungen, die für dich nicht akzeptabel sind, weil du ihr Bestes willst. Sie will das offensichtlich gar nicht
    Ich glaube, sie möchte einfach in Ruhe abbauen dürfen und altern und ganz alt werden und dann übergehen. Ich glaube es reicht ihr. Und dazu hat sie auch das Recht
    Lass sie. Auch wenn es noch so schwer fällt, noch so schwer auszuhalten ist. Lass sie und lebe dein Leben. Wenn sie gar nicht mehr kann, dann kannst du sie hier in ein Pflegeheim holen… Das hab ich auch mit meiner gemacht, als sie nur noch gestürzt ist und sich nicht mehr versorgen konnte. Und dann war’s auch gut. Vorher wollte sie auch “ums verrecken nicht” (wirkliches Zitat) aus ihrer Wohnung und Stadt. Hier hab sie dann besuchen können und auch mit einigermaßen guten Gewissen mein Ding machen können. Und ich konnte sie im Arm halten, als sie 5 Jahre später gestorben ist.
    Es ist eine beschissene Zeit, dieses lange Abschiednehmen von den Menschen den man kannte.
    Lass sie. Und sie wird im besten Fall irgendwann selbst merken, dass es nicht mehr geht und dein Angebot annehmen.
    Und mit das Allerwichtigste: sie sollte richtig gute Medikamente bekommen. Heute muss kein Mensch mehr mit Angststörungen und Depressionen leben!!!!!!!!!! Die Medikamente heutzutage haben mit dem, was wir früher verpöhnten nichts mehr zu tun! Es ist Lebens(qualitäts)rettend!!!! Und sie machen nicht mehr abhängig. Und wenn?? Wenn nicht das in den Alter noch?? Hauptsache es geht besser damit!
    Ich drück dich mal ganz feste!!!!!
    Wir müssen da alle durch! Du schaffst das!!!❤️

  5. Ja so ist das leider, liebe Andrea, das alt werden. Irgendwann wird es nicht mehr besser, sondern leider immer schlimmer. Habe das leider auch mit meiner Mama durchgemacht.
    Wir haben eine 24 h Pflegekraft besorgt. Das war natürlich nicht so einfach. Es gehört zu dieser Phase dazu, dass es schwer ist, die Hilfe zu akzeptieren. Aber so konnte sie bis zum Ende zuhause leben.
    Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Den Wunsch zu sterben hat sie auch immer wieder geäußert. Und wenn man ehrlich ist, was gibt es schöneres als so alt zu werden, bis man wirklich gerne geht. Alles Gute für dich und Deine Mama.

  6. Liebe Andrea,
    jetzt habe ich Deinen Blog “Mutterkummerland” schon zweimal gelesen und er berührt mich jedes Mal sehr. D.h. die Probleme (mit) Deiner Mutter gehen mir sehr nahe. Zum einen erinnern sie mich daran, wie es meiner Mutter und auch meinem Vater im hohen Alter ging und wie sehr uns Kinder das betroffen hat. Soweit ich das aus der Ferne sagen kann und darf, hast Du bisher alles richtig gemacht. Aber eigentlich gibt es in diesem Fall gar kein richtig und falsch. Das Problem des Altwerdens und des Verlustes der Selbständigkeit ist und bleibt überaus schmerzhaft und es gibt einfach keine guten Lösungen.
    Ich habe den Eindruck, dass Deine Mutter an einer beginnenden Demenz verbunden mit einer Depression leidet. Sie wird sicher entsprechend medikamentös behandelt. Dennoch kann sie nicht mehr allein und selbstbestimmt leben. Du kannst ihr das Pflegeheim sicher noch eine Zeitlang ersparen durch Engagements aller möglichen sozialen Dienste, die die Aufgaben, die Du in den letzten Wochen geleistest hast, übernehmen. Inwieweit das möglich ist, kann ich nicht sagen.
    Das würde Dir ermöglichen, wieder nach Tübingen zu kommen und all das zu bearbeiten, was Du Dir vorgenommen hast.
    Und trotzdem wird die Angst um Deine Mutter und die Sorge bleiben.
    Dafür wünsche ich Dir viel Kraft, auch durch das Zusammensein mit den Kindern und Freunden, und für Euch beide Gottes Segen!

  7. Ein traurig-schöner Artikel, der mich sehr zum Nachdenken bringt. Bei meinen Eltern ist es noch nicht so weit, aber wer weiß schon, wie es in Zukunft aussieht. Die Lage in den Pflegeheimen ist katastrophal. Da Personal fehlt können Betten nicht belegt werden und viele Einrichtungen werden bereits geschlossen. In Zukunft einen Platz für seine Angehörigen zu finden wir wie ein 6er im Lotto. Doch ist die Frage, wäre das überhaupt eine Option. Könnte ich das, würde ich eine Doppelbelastung schaffen … so viele Gedanken.
    Ich bin Dankbar, dass meine Eltern noch fit sind und doch sehe ich, wie viele Familien mittlerweile vor beängstigenden Problemen stehen.
    Ich wünsche dir Kraft und viele von den guten Momenten

  8. Danke, liebe Mirjam. Ich hätte ein richtig schönes Pflegeheim für meine Mutter und noch vor einem Jahr wäre das eine gute Option gewesen – ein Pflegeheim bietet einfach die Möglichkeit zu Gesellschaft, Fürsorge und einem Minimum an “Animation”. Aber meine Mutter wollte das auf keinen Fall und jetzt ist der Zeitpunkt verpasst, sie würde es nicht mehr schaffen, sich dort zu orientieren und tatsächlich nur in ihrem Zimmer herumsitzen.
    Aber das Schlimmste sind eigentlicht nicht die Organisationsprobleme, sondern das Akzeptierenmüssen der Depression.

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